Mehr Menschlichkeit!
Menschlich ging es zu im Bundestag: Der Blick auf die erlebten tragischen Geschichten im eigenen Umkreis von Familie und Freunden prägte in der Debatte um Sterbehilfe und assistierten Suizid am 2. Juli mehr als in vielen anderen Debatten auch die politischen Positionen. Das darf und soll sein. Diese Lebens- und Leidensgeschichten haben die Auseinandersetzung menschlich werden lassen. Allen ist klar: Die entscheidende Frage nach den Hilfen, die Sterbenskranke erhalten sollen, stellt sich ja nicht abstrakt, sondern im Angesicht konkreter Menschen, die unerträglich leiden.
Ein neues Gesetz muss drei Fragen beantworten. Die erste: Was hilft den Patienten am besten, die unheilbar krank sind und deren letzte Lebensphase nur noch von Leid und Schmerzen geprägt ist? Die entscheidende Hilfe für Menschen in der letzten Lebensphase ist die Befreiung von Schmerzen, ist die Linderung seelischen Leidens und die liebevolle und sorgfältige Begleitung. Immer wieder werden wir als katholische Träger den Finger in diese Wunde der Politik legen: Wer schwerstkranken Menschen helfen will, muss dafür sorgen, dass der immer noch erhebliche Entwicklungsbedarf in Palliativmedizin und Palliativversorgung aufgeholt wird.
Die zweite Frage: Was hilft Ärztinnen und Ärzten? Ihnen hilft, wenn ihre Rolle klar ist. Ärzte stehen auf der Seite des Lebens. Es ist entscheidend, dass klar bleibt: Die Beihilfe zum Suizid ist nichts, was in den Aufgabenkatalog der Ärzte gehört.
Und schließlich die dritte Frage: Wie soll die Gesellschaft aussehen, in der wir leben wollen? Menschlich soll die Gesellschaft sein. Da sind sich alle einig. Doch wenn leise und behutsam die Tür zum schmerzfreien Abgang aus der Welt geöffnet wird, ist das nicht unbedingt ein Ausweis für mehr Menschlichkeit.
Derselbe Bundestag, der Anfang Juli über die Sterbehilfe debattiert hat, wird in diesem Jahr auch über das neue Krankenhausstrukturgesetz diskutieren und entscheiden. Und hier weht einen kein hehrer Geist der Menschlichkeit mehr an, sondern man stößt auf die harte ökonomische Wirklichkeit. Unsere Medizin ist Weltklasse. Doch eines passt hier anscheinend nicht mehr hinein: Menschen, die für Menschen da sind. Hier schließt sich der Kreis: Gerade die Pflege und Begleitung schwerstkranker Patienten brauchen den Einsatz und die Zeit von Menschen. Das ist personalintensiv. Damit auch kostenintensiv. Es geht um eine Weichenstellung: Werden wir in unserem Gesundheitssystem in Zukunft noch genug Geld zur Verfügung haben, Patienten als Menschen zu behandeln, erst recht diejenigen, die in ihrer letzten Lebensphase sind?
Emotional, ernsthaft, mit menschlichem Gesicht und mit den Geschichten von Menschen, die auf Menschen angewiesen sind: Wenn über die Krankenhausfinanzierung auch so debattiert wird, dann - aber auch nur dann - kann ich den Abgeordneten auch den Ernst und die Menschlichkeit abnehmen, die die Debatte über die Gesetze zur Sterbehilfe und zum assistierten Suizid geprägt haben.