Gesundheit ist ein Menschenrecht
Wer abends in der Stadt und besonders um den Bahnhof herum unterwegs ist, stößt auf Menschen, die in Nischen und Eingängen notdürftig ihre Schlafstätte, ja ihren "Außerhausstand", eingerichtet haben. Viele fragen sich, warum diese Menschen keine Hilfe erhalten. Dabei ist der Irrtum verbreitet, dass das Leben auf der Straße eine mehr oder weniger frei gewählte Lebensform ist. Solche Deutungsversuche werden den individuellen Schicksalen und Lebensläufen der Betroffenen nicht gerecht und lenken vom politischen und gesellschaftlichen Versagen ab. Letzteres ist angesichts fehlender Wohnungen und Notunterkünfte offensichtlich. Das Elend vieler Menschen auf der Straße ist aber auch eine Folge von Lücken und Exklusionsmechanismen im Gesundheitssystem.
Fast alle Menschen, die langfristig auf der Straße leben, sind krank. Sie leiden unter Suchterkrankungen und/oder körperlichen beziehungsweise psychischen Krankheiten. Manchmal ist die Krankheit Teil der Ursache, die in die Obdachlosigkeit führt. In anderen Fällen ist sie Folge des Lebens auf der Straße. Warum aber greift unser Sozial- und Gesundheitssystem oft nicht?
Bundesweit beobachten Bahnhofsmissionen seit Jahren einen kontinuierlichen Anstieg von Gästen mit psychischen Erkrankungen ohne befriedigende medizinische und soziale Versorgung. Die Hilfen kommen für sie oft zu spät, sind nicht nachhaltig genug und zu hochschwellig.
Nur frühzeitige Hilfen können die Abwärtsspirale stoppen
Nur durch frühzeitige Hilfen ist die Abwärtsspirale von Arbeitsplatzverlust, Beziehungsabbrüchen und Erkrankung zu stoppen. Um den Erfolg medizinischer Behandlung und Therapie nachhaltig zu sichern, sind umfassende und nahtlos anschließende Hilfen notwendig. So kann etwa eine Versorgung mit Medikamenten sichergestellt werden, was bei einer Entlassung in die Wohnungslosigkeit ausgeschlossen ist, "Drehtüreffekte" sind die Folge. Um psychisch kranke Menschen zu erreichen, braucht es auch neue Konzepte der Unterbringung. So können etwa viele krankheitsbedingt nicht im engen Mehrbettzimmer übernachten. Außerdem müssen medizinisch-therapeutische Angebote dort verfügbar sein, wo sich Wohnungslose aufhalten.
Wer die Menschen von der Straße holen will, muss ihre Gesundheitsversorgung verbessern - nicht nur beim Arzt und in der Klinik, sondern auch davor und danach. Niedrigschwellige Anlaufstellen wie die Bahnhofsmission sind Auffangbecken für Hilfebedürftige, für die andere Hilfen nicht erreichbar sind oder passende Angebote fehlen. Solche Einrichtungen müssen fachlich und personell aufgewertet und in eine Strategie gegen Wohnungslosigkeit einbezogen werden.