Dilemma des Mindestlohns
Seit Januar gilt der Mindestlohn auch ausnahmslos für Menschen mit Behinderung in Arbeitsverhältnissen. Der CBP begrüßt dies. Im Vorfeld der Gesetzgebung kaum diskutiert wurden jedoch die Gefährdungen der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung in Arbeitsbereichen, in denen aufgrund von wohlfahrtsstaatlichen Grundsätzen der Mindestlohn nicht garantiert werden kann. Dazu gehören Integrations-unternehmen und Zuverdienstprojekte.
Ein Integrationsunternehmen verfolgt wirtschaftliche Ziele und beschäftigt gleichzeitig dauerhaft einen großen Anteil (25 bis 50 Prozent) von Menschen mit Behinderung. Es erhält dafür Zuschüsse und Starthilfe. 2013 gab es in Deutschland circa 800 dieser Betriebe mit rund 22.500 Arbeitsplätzen, davon etwa 10.500 für Menschen mit Behinderung. Zuverdienstprojekte bieten vor allem Menschen mit psychischer Erkrankung eine Beschäftigung bis zu 15 Stunden wöchentlich mit einer sozialpädagogischen Betreuung. Hier steht nicht der Verdienst im Vordergrund, sondern die niedrigschwellige und unterstützte Heranführung an Beschäftigung.
Insbesondere die Zuverdienstprojekte kommen nun mit der Pflicht zum gesetzlichen Mindestlohn nicht zurecht. Nicht wenige Anbieter von Zuverdienstarbeitsplätzen haben diese zum Ende des vergangenen Jahres eingestellt, da die wirtschaftlichen Ergebnisse keinen Mindestlohn ermöglichen.
Absurd: Sozialleistungen in Mindestlohn "umwandeln"
Aber auch viele Integrationsfirmen stellt der Mindestlohn vor große Herausforderungen. Ihre wirtschaftliche Situation ist schon seit Jahren prekär. Die Förderung aus öffentlichen Mitteln wird der Größe der Integrationsleistung, die sie erbringen, bei weitem nicht gerecht. Da es ihre Aufgabe ist, Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung zu schaffen, sind Rationalisierungsmaßnahmen zur Kostensenkung beispielsweise durch Automatisierung nicht sachgerecht. Eine Durchsetzung von kostendeckenden Preisen ist jedoch am Markt nicht möglich, da dies zu wettbewerblichen Nachteilen führen würde.
Die Gesellschaft steht vor dem Dilemma, aus Gleichheits- und Gerechtigkeitsgrundsätzen allen Menschen eine angemessene Entlohnung zuzusichern, kann dies aber an der Schnittstelle von Sozialleistungen nicht ohne weiteres gewährleisten. Entsprechend absurd sind auch die Forderungen, Beschäftigten in den Werkstätten für Menschen mit Behinderung einen Mindestlohn zu bezahlen, solange diese Leistungen reine Sozialleistungen sind und damit abhängig von den politischen und gesellschaftlichen Vereinbarungen.
Aus Sicht des CBP braucht es Klarheit darüber, wie mit den Schnittstellen bei der Teilhabe am Arbeitsleben künftig umgegangen werden kann. Alle Menschen brauchen einen angemessenen und gerechten Lohn. Die Gesellschaft muss aber auch bereit sein, diesen Lohn dort durch ausreichende Subventionierung möglich zu machen, wo es nicht allein um wirtschaftlichen Wettbewerb, sondern um sozialstaatliche Leistungen geht, die die volle und gleichberechtigte Teilhabe zum Ziel haben.