Das Stigma abbauen
"Aids - gibt es das überhaupt noch? Man hört und liest ja nichts mehr!" So lautet heute der Standardspruch zu einem Virus, das seit den 1980ern die Menschen weltweit bedroht.
Anfangs stifteten Schlagzeilen Entsetzen und Vorurteile. Heute ist es ruhiger geworden, aber die Infektion bleibt aktiv: Das Robert-Koch-Institut schätzt die Zahl der Neuinfektionen in Deutschland im Jahr 2014 auf rund 3200. Darunter sind etwa 2700 Männer und 460 Frauen. Männer, die Sex mit Männern haben, bilden die größte Gruppe der Neuinfizierten mit 2300, gefolgt von heterosexuell orientierten Menschen (590), durch intravenösen Drogengebrauch Infizierten (240) und Neugeborenen (unter zehn). Derzeit leben circa 84.000 Menschen mit dem Virus in Deutschland. Diese Zahl ist in den letzten Jahren gestiegen, da Infizierte dank besserer Medikation inzwischen länger leben. Aber auch durch Migration und Neuansteckungen gibt es mehr Betroffene.
Infizierte Menschen brauchen Beratung, Begleitung, Behandlung, Pflege sowie Beistand, um mit HIV leben zu können. Noch immer fehlt es an Aufklärung über das Virus. So kann es leider noch vorkommen, dass einer HIV-positiven Erzieherin gekündigt wird. Arztpraxen und Krankenhäuser können Menschen mit HIV noch nicht angstfrei aufnehmen: Jüngst wurde ein HIV-positives Kind von einer Freizeit nach Hause geschickt. Der Träger war ein katholischer. Dabei sei das Kind gar nicht ansteckend, merkte dazu eine Uniklinik an. Dank Therapie sei die Virenlast zu gering. Schade, dass es so begründet wurde. In einem solchen Fall sagte ich schon vor 30 Jahren, wer die Übertragungswege kenne, der wisse, dass das Virus nur auf sexuelle oder intravenöse Weise weitergegeben werden könne. Noch heute werden die Übertragungswege kaum korrekt dargestellt - kann man’s nicht oder fehlt es an Mut?
Erfreulich ist der medizinische Fortschritt: Das frühe Sterben hat ein Ende, die Lebensqualität steigt. Aber es gibt eine Falle: Manche denken, dass Schutz nicht mehr so wichtig sei; ausgerechnet die ziemlich sexualisierte Schwulenszene lässt eine reife Einstellung zu HIV vermissen und steuert so 70 Prozent zur Bilanz bei.
Caritas hat sich von Anfang an der Aidskranken angenommen
Wesentliche Aufgaben, um Aids in den Griff zu kriegen, dürfen nicht lapidar an die Medizin abgeschoben werden. Prävention sowie ein angst- und vorurteilsfreier Umgang sind wichtig. Der Abbau des Stigmas wäre Sache einer vernünftigen Aufklärung - doch die ist nicht in Sicht.
Die Stärke der Caritas war, dass sie sich von Anfang an der Aidskranken angenommen hat. Dies wurde auch von nicht so kirchenfreundlichen Partnern anerkannt. Die Caritas muss keine Kondome verteilen: Das bringt nur Verdruss und ist zu simpel. Eher sollte sie mit einem jesuanischen Menschenbild eine neue Kampagne starten, um endlich für einen anständigen Umgang mit HIV in der Kirche zu sorgen und dabei für die Würde Homosexueller einzustehen.