Das Wasser ist weg, die Caritas bleibt.
Rund drei Monate nach der Flut ist das Wasser zwar weg, aber die Schäden sind noch da. Warum der Wiederaufbau nur langsam vorankommt und was die Caritas tut, um die Wartezeit zu überbrücken, erklärt Gernot Krauß, Referent bei Caritas international und zuständig für die Fluthilfen in Deutschland.
Für Gernot Krauß ist es als zuständiger Koordinator der Caritas-Fluthilfen nach 2002 und 2013 bereits die dritte Flutkatastrophe in Deutschland.Caritas International
Herr Krauß, Sie waren Anfang September im Flutgebiet unterwegs. Wie ist die Lage vor Ort?
Gernot Krauß: Man muss nur aus dem Fenster schauen, um zu verstehen, dass die Lage schwierig ist: Der Herbst ist da, es regnet und wird kalt und die Wohnsituation der Betroffenen ist bei weitem nicht die gleiche wie vor den Fluten. In Ortschaften, wo das Wasser nicht ganz so heftig durchgerauscht ist, sieht es zwar mittlerweile so aus, als sei nicht viel passiert. Aber das täuscht. Das Wasser hat nicht nur den Hausrat kaputt gemacht, sondern ist auch in die Häuserwände eingedrungen und hat die Elektro- und Heizungsanlagen zerstört. Bis die repariert sind, dauert es. Sachverständige müssen die Schadensfälle prüfen, es fehlt an Fachkräften und Firmen, die tausende Aufträge schnell abarbeiten können, hinzu kommt ein Mangel an Baumaterialien. In der Region Bitburg rechnet man damit, dass es zehn bis 18 Monate dauern wird, bis alle Betroffenen wieder eine funktionierende Heizungsanlage haben. Das ist eine enorme psychische Belastung, viele Betroffene haben Angst, den Winter nicht in den eigenen vier Wänden verbringen zu können.
Was kann die Caritas tun?
Krauß: Im Moment ist es wichtig, ganz nah bei den Menschen zu sein. Deshalb haben wir an vielen Orten die psychosozialen Hilfen intensiviert. Unsere Caritas-Kolleg_innen sind viel vor Ort unterwegs, hören zu, trösten, helfen Anträge auszufüllen. Außerdem zahlen wir bei Bedarf Mietbeihilfen: Viele Menschen können noch gar nicht in ihr Zuhause zurückkehren und müssen nun beides stemmen: den Wiederaufbau und eine zusätzliche Miete. In den kommenden Wochen werden wir auch weiterhin Geld für sogenannte Haushaltsbeihilfen bereitstellen, damit sich die Menschen dringend benötigte Gegenstände wie Waschmaschine, Kühlschrank, Möbel oder Haustüre wiederbeschaffen können. Dann folgt der größte Brocken: Der Wiederaufbau.
Warum fängt die Caritas nicht jetzt damit an und finanziert zum Beispiel die Heizungs- und Elektroanlagen?
Krauß: Beim Wiederaufbau gilt das Prinzip der Nachrangigkeit, das wird leider in vielen Medienberichten nicht klar. Als erstes muss - falls vorhanden - die Versicherung den Schadensfall prüfen. Was sie nicht zahlt, übernimmt der Staat, allerdings meist nur zu 80 Prozent. Erst dann dürfen Spenden zum Einsatz kommen. Würde die Caritas beginnen, Heizungsanlagen zu bauen, nähme sie die Versicherungen und auch den Staat aus der Pflicht. Das wäre sicherlich nicht im Sinne unserer Spenderinnen und Spender. Die Nachrangigkeit macht also Sinn. Allerdings führt sie auch zu Verzögerungen, die für die Betroffenen - verständlicherweise - nur sehr schwer auszuhalten sind.
Was plant die Caritas in den kommenden Monaten?
Krauß: Wir haben unsere Fluthilfe auf zwei bis fünf Jahre angelegt. Denn auch wenn der Bedarf enorm ist, wäre es nicht richtig, alle Mittel sofort auszugeben. Da müssen wir bei den Betroffenen, aber auch bei unseren Spenderinnen und Spendern um Verständnis und Vertrauen werben. Unsere Erfahrungen aus der Elbeflut 2013 haben gezeigt, dass es zwei bis drei Jahre nach der Katastrophe immer noch Menschen gab, die keine Hilfe erhalten haben, etwa weil Anträge falsch ausgefüllt wurden. Oder weil sie sehr alt waren und dachten, es lohne sich nicht mehr, ihr Haus wieder aufzubauen. Wir wollen auch einen Teil des Geldes in die Nachsorge stecken. Wenn der Wiederaufbau gestemmt ist, fallen viele Betroffenen in ein tiefes Loch. Oder finden dann erst Zeit, um Angehörige, die sie in den Fluten verloren haben, zu trauern. In dieser Phase wollen wir den Menschen zur Seite stehen.
Konnten Sie auf die Erfahrungen der Fluthilfe 2002 und 2013 aufbauen?
Krauß: Ja, absolut. Nach der Elbeflut 2013 haben wir in enger Zusammenarbeit mit den Caritasverbänden und Betroffenen vor Ort einen Leitfaden erstellt, der uns jetzt sehr gute Dienste leistet. Er bündelt die Erfahrungen aus der Fluthilfe und enthält viele Handlungsanleitungen und praktische Tipps. Schon unmittelbar nach der Katastrophe haben die Caritas-Kolleg_innen aus den damals betroffenen Regionen in Bayern und Ostdeutschland Kontakt aufgenommen zu den aktuell betroffenen Caritasverbänden und Erfahrungen geteilt.
Das ist Ihre dritte "Jahrhundertflut". Kann Sie noch etwas beeindrucken?
Krauß: Ich bin überwältigt von der Solidarität der Menschen in Deutschland. Insgesamt sind 358 Millionen Euro an Spenden eingegangen, allein für die Caritas waren es 45 Millionen Euro. Dafür sind wir unglaublich dankbar, auch weil es ein großes Vertrauen in unsere Arbeit zeigt. Beeindruckt haben mich auch meine Caritas-Kolleg_innen vor Ort, die bis zum Umfallen gearbeitet haben, obwohl sie häufig selbst von der Katastrophe betroffen waren. Und auch die Tatsache, dass Solidarität nicht an Ländergrenzen haltmacht. So hat zum Beispiel die Caritas Tschechien Bautrockner nach Euskirchen transportiert, die Caritas in Serbien hat in den Kirchen zu Spenden für Deutschland aufgerufen.
Das Interview führte Stefanie Santo am 06.10.2021