Wie reagieren Caritas-Seniorenheime auf die Ausbreitung des Coronavirus – eine Schilderung aus Berlin
Frau Appelt, die Caritas Altenhilfe GGmbH bietet verschiedene Einrichtungsformen von der Tagespflege, der ambulanten Pflege durch Caritas-Sozialstationen, dem Servicewohnen, bis zu den Seniorenheimen. Mit welchen Herausforderungen müssen die verschiedenen Bereiche aktuell umgehen?
Beispielsweise hat Berlin aktuell die Schließung der Tagespflegen beschlossen. Das steht womöglich auch in Brandenburg und Vorpommern bevor. Unsere Tagespflegen befinden sich mit Seniorenheimen unter einem Dach. Das heißt, dass die Tagesgäste der Tagespflege, ähnlich wie Besucher, von außen ins Haus kommen und damit das Infektionsrisiko für die Bewohner_innen im Seniorenheim erhöht ist. Die Tagespflege ist ja ein Ergänzungsangebot für Pflegebedürftige und für die Angehörigen ein Entlastungsangebot, um auch mal freie Zeiten für andere Erledigungen zu haben. Dieses Zusatzangebot bedeutet aber aktuell auch für die Senior*innen, die die Tagespflege nutzen eine zusätzliche Infektionsgefahr, insbesondere weil sie oft mit Transportdiensten gemeinsam in die Einrichtungen gebracht werden. Normalerweise nutzen Tagesgäste gemeinsam mit den Bewohner_innen des Seniorenheimes Räume für Gymnastik und Bewegung und Angebote, wie zum Beispiel den Besuch der Hl. Messe in der Hauskapelle. Diese Teilhabe und Gemeinschaft ist ja eigentlich schön, nur ist das Ansteckungsrisiko zurzeit zu groß. Deshalb hatten wir diese Gemeinsamkeiten schon abgestellt. Viele pflegende Angehörige hatten aus Sorge sowieso schon von der Tagesbetreuung abgesehen. Durch die Verordnung des Berliner Senats haben wir das Angebot der Tagespflege bis auf weiteres nun ganz eingestellt. Außerdem haben wir in unseren 17 Seniorenwohnhäusern in Berlin, in denen die Menschen eigenständig wohnen, gemeinschaftliche Freizeitangebote eingestellt, bei denen sich viele Menschen intensiv begegnen. Wir halten unsere Bewohner_innen in den Seniorenwohnhäusern an, soziale Kontakte zu vermeiden. Wenn die Menschen jetzt aber verstärkt in ihren Wohnungen bleiben, brauchen wir wahrscheinlich in absehbarer Zeit mehr Hilfe in den Wohnhäusern, um die Menschen unter anderem mit Einkäufen zu versorgen. Hier könnten sich Angehörige und Ehrenamtliche einbringen.
Wie sieht es mit der häuslichen Pflege aus?
Im Bereich der häuslichen Pflege gehen Angehörige in Zeiten von Covid-19 teilweise schon dazu über, da wo und wie es möglich ist, selbst Zuhause zu pflegen. Sie haben Angst um Ihre Eltern und Großeltern und wollen das Risiko der Ansteckung durch eine starke Einschränkung von Kontakten vermeiden. Einige der bereits vereinbarten Pflege-Einsätze werden bereits auf unbestimmte Zeit abgesagt. Das bringt finanzielle Einbußen für die Träger mit. Wir dokumentieren die Ausfälle, die wir aktuell haben, aber wir wissen noch nicht was das finanziell für uns bedeuten wird. Die Informationen der Kranken- und Pflegekassen dazu sind bisher wenig konkret.
Wie gehen die pflegenden Angehörigen mit der vorübergehend ausgesetzten Pflegefachberatung um?
Einige pflegende Angehörige sind in Sorge, weil aktuell die Fachberatungsbesuche für die Beratung zur Pflegesituation zu Hause – auch auf Empfehlung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen – bis Mitte April ausgesetzt sind. Sie sind beunruhigt, dass dadurch die Leistungen der Krankenkassen nicht gezahlt werden. Die Fachberatungsbesuche sollen sicherstellen, dass die Pflege-Situation bei Empfängern von Pflegegeld von pflegenden Angehörigen durchgeführt wird und auch den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen entspricht. Die Caritas hat von der AOK Nordost die Bestätigung, dass die Fristen für die Besuche aktuell nicht eingehalten werden müssen und dass dies weder für den Träger noch für die Klienten ein Nachteil sein wird.
Was passiert, wenn nicht mehr genügend Pflegefachkräfte zur Verfügung stehen?
Auch die Hauskrankenpflegeleistungen können uns vor Herausforderungen stellen, wenn wir mit weniger Pflegefachkräften arbeiten müssten. Aber wir sind vorsorglich mit den Krankenkassen im Gespräch, ob Leistungen beispielsweise wie "Kompressionsstrümpfe anziehen" oder "Medikamente verabreichen" auch Pflegehelfer übernehmen können. Natürlich unter der Voraussetzung, dass diese hierfür angeleitet sind. Derzeit muss das von Pflegefachkräften geleistet werden. Aber es könnte ja auch eine Pflegehilfskraft einspringen, wenn beispielsweise Medikamente aus einem vorher vorbereiteten Blister verabreicht werden sollen.
Frau Appelt, beschränken Sie die Besucherzahlen in Ihren Senioren-Einrichtungen?
Wir wollen in der aktuellen Situation den Besuch von Angehörigen so weit wie möglich einschränken, um ein Infektionsrisiko von außen dringlich zu vermeiden. Aber natürlich ist für uns die Entscheidung zwischen dem nötigen Gesundheitsschutz und dem großen Verständnis für die Wünsche von Angehörigen und Bewohnern nach Besuchen extrem schwierig. Wir wissen, welche positiven Impulse die Besuche auf die Menschen haben. Die Angehörigen sind weniger in Sorge und die Senioren haben einen Anreiz zum Beispiel für mehr Bewegung. Auch für das Pflegepersonal sind Besuche oft eine Unterstützung. Unter den aktuellen Bedingungen, müssen wir aber unbedingt für den Infektionsschutz sorgen. Manche Angehörigen haben dafür kein Verständnis und pochen auf ihr Recht, auf Grundlage der Berliner Rechtsverordnung, "pro Bewohnerin und Bewohner, ein Besucher pro Tag. Das wären bei 90 Senioren auch 90 Besuche pro Tag. Das dies risikoreich wäre, ist einleuchtend. Es ist wichtig, dass wir alle Verantwortung übernehmen und uns selbst und andere vor einer Infektion schützen. Wie Bundeskanzlerin Merkel in ihrer gestrigen Ansprache an das deutsche Volk sagt: "Abstand ist jetzt ein Ausdruck von Fürsorge."
Wie regeln Sie es mit dem Infektionsschutz und den Besuchen?
Da wir die Besuchszeiten festgelegt haben, nehmen wir jeden Besucher in Empfang. Fragen ihn nach seinem Gesundheitszustand und ob der Besuch dringend sein müsse. Ausnahmefälle, für die wir natürlich einen Besuch ermöglichen sind beispielsweise, wenn ein Bewohner im Sterben liegt, oder bei jemandem eine kritische gesundheitliche Situation vorliegt, bei der wir wissen, die Angehörigen können helfen. In diesen Fällen bitten wir um gründliches Händewaschen und Händedesinfektion, das Einhalten von Abstand und den Verzicht auf das Begrüßungsküsschen oder die Umarmung - und um die persönlichen Daten der Besucher. Letzteres ist nötig, um notfalls die Infektionskette zu kennen.
Sind genügend Schutzkleidung und Schutzmasken vorrätig?
Wir hatten kürzlich noch das Glück über die Caritas Krankenhäuser eine große Bestellung auslösen zu können, allerdings zu horrenden Preisen. Noch ist die Versorgung mit Schutzmasken und Schutzkleidung in Ordnung. Allerdings wissen wir, dass Engpässe kommen werden. Wir hoffen, dass sich die Krankenkassen an den Kosten beteiligen werden. Gerade für kleine Pflegedienste ist das möglicherweise schwierig zu leisten, die Kosten aufzubringen.
Wie kann man sich engagieren, wenn man ehrenamtlich helfen möchte?
Wir müssen in den nächsten Wochen damit rechnen, dass wir mit weniger Personal auskommen müssen. Wer selbst einen pflegerischen Hintergrund hat oder gerne Beschäftigungen für unsere Bewohner*innen anbieten möchte, kann sich gern melden. Natürlich bitte keine Pflegekräfte, die bereits in Rente sind, da sie selbst zur Risikogruppe gehören. Aber neben Pflege und Betreuung gibt es ja auch das Essenreichen, die Reinigung, das Einkaufen, Abendbrot vorbereiten, im Garten spazieren gehen. Wenn uns hier Menschen helfen möchten, wäre das eine große Unterstützung. Wir prüfen gerade inwiefern es die gesetzlich vorgeschriebene mündliche und schriftliche Erstbelehrung nach dem Infektionsschutzgesetz auch als Online-Schulung geben kann, um die "rote Karte" zu erhalten. Das wäre schon toll, wenn wir solche Hilfen bekämen.
Die Caritas Altenhilfe GGmbH ist Trägerin von 72 Senioreneinrichtungen an 39 Standorten in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern: Seniorenwohnhäuser mit Serviceleistungen, Caritas-Sozialstationen, Tages- und Kurzzeitpflegesowie Seniorenheime und Seniorenzentren. Rund 2.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie 450 Ehrenamtliche kümmern sich um die Bewohnerinnen und Bewohner , Klientinnen und Klienten.
Stand: 19.03.2020