Armut darf sich nicht weiter vererben
Bei einem Espresso erklärt Caritas-Generalsekretär Georg Cremer, was ihn an der aktuellen Armutsdebatte stört und welche Lösungen er vorschlägt.
Im September 2016 hat Cremer seine Kritik an der aktuellen Armutsdebatte und seine Lösungsvorschläge in einem Buch zusammengefasst.
Was hat Sie veranlasst, ein Buch über die Armut in Deutschland zu schreiben?
Es hat mich seit langem geärgert, dass die Debatte zu Armut in Deutschland oft nur zu folgenloser Empörung führt und den Armen nichts nützt. Sie pendelt zwischen Problemverweigerung und Skandalisierung. Diejenigen, die das Thema befeuern wollen, greifen zu immer drastischeren Bildern. Aber diese rütteln nicht mehr auf, sie stumpfen ab. Ich will mit meinem Buch zeigen, dass Nüchternheit, Faktentreue und Empathie für arme Menschen vereinbar sind.
Wo sehen Sie die größten Defizite bei der Bekämpfung von Armut?
Wir haben einen starken Sozialstaat, aber er ist nicht wirksam genug, der Entstehung und Verfestigung von Armut entgegenzutreten. Wenn es nicht gelingt, den engen Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg zu lockern, wird sich Armut immer wieder vererben.
Welche Maßnahmen schlagen sie vor, damit künftig weniger Menschen von Armut bedroht sind?
Es gibt nicht die eine Stellschraube. Wir brauchen die zähe Reformarbeit auf vielen Feldern. Die Caritas fordert, Hartz IV fair zu berechnen. Wenn wir das tun, bekommen mehr Menschen ergänzende Hilfen des Staates als heute. Das dürfen wir dann aber nicht als Zunahme sozialer Probleme missverstehen.
Wir können arme Familien durch eine einkommensabhängige Kindergrundsicherung besser unterstützen. Wir dürfen bei der Berechnung der Grundsicherung im Alter nicht alles, was jemand sich mühsam erspart hat, abziehen. Denn dadurch macht für arme Menschen Vorsorge keinen Sinn.
Neben der Sozialpolitik im engeren Sinne sind aber die Bildungs-, Arbeitsmarkt-, die Wohnungspolitik und das Gesundheitswesen gefordert – übrigens auch wir als Caritas. Wir müssen Menschen wirksam helfen, damit sie ihre Potenziale entfalten können. Nur so kann Teilhabe gelingen.
Buch: Cremer, Georg: Armut in Deutschland – Wer ist arm? Was läuft schief? Wie können wir handeln?, 2016, 271 Seiten, erschienen im C.H.Beck-Verlag.
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