Strategische Personalplanung
Die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt ist mit dem Inkrafttreten des Integrationsgesetzes in die Phase der konkreten Praxis übergeleitet worden. Die positiven Ansätze zur Aufenthaltssicherung bei Ausbildung1 und das Aussetzen der Vorrangprüfung in 133 von 156 Agenturbezirken2 müssen nun ausgefüllt werden mit konkreten Beschäftigungs- und Qualifizierungsstrategien. Das wird nicht einfach sein, wurden doch anstelle funktionstüchtiger Fördersysteme - dazu gehören die Vereinheitlichung der Rechtskreise ebenso wie ausreichend aufeinander abgestimmte Förderprogramme - Sanktionen gegen vermeintlich integrationsunwillige Flüchtlinge in den Vordergrund gestellt.3 Auch der inflationäre Einsatz von Arbeitsgelegenheiten4 wird Flüchtlinge eher vom Arbeitsmarkt fernhalten, als diesen für sie zu öffnen.
Für das Selbstverständnis der Caritas sind es aber vor allem der diskriminierende Ausschluss von Flüchtlingsgruppen aus Qualifizierungsangeboten oder aus der Berufsausbildungsförderung und Ähnlichem, denen es entgegenzuwirken gilt, indem wir auch diesen Menschen eine Chance bieten, ihr Leben in Würde gestalten zu können.
Was sind darüber hinaus die wesentlichen Beweggründe, die es für die Caritas interessant machen, Flüchtlinge auszubilden und zu beschäftigen?
Daueraufgabe: Teilhabe und Integration von Flüchtlingen
Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen wird eine dauerhafte und vor allem langfristig ausgerichtete Aufgabe sein. Angesichts einer hohen Zahl nicht erledigter Asylverfahren und einer gleichzeitig hohen Schutzquote5 dürften sich die Integrationsquoten der Vergangenheit nicht deutlich verbessern lassen. Laut OECD dauert es nahezu 15 bis 20 Jahre, bis Flüchtlinge die Beschäftigungsquote von Inländern erreicht haben.6 Je früher und intensiver wir uns also den Aufgaben stellen, umso geringer ist die Gefahr einer langjährigen Arbeitslosigkeit. Das allein sollte für die Caritas Ansporn genug sein.
Arbeitskräftebedarfe dauerhaft sichern
Bereits heute fällt es manchen Fachbereichen der Caritas schwer, ihre offenen Stellen zu besetzen. Das betrifft nicht nur die Pflegeberufe, sondern wird zunehmend in allen Bereichen der sozialen Arbeit, im Projekt- und Wirtschaftsmanagement oder auch in der Verwaltung akut. Eine oftmals ungünstig hohe Altersstruktur7 in den Einrichtungen der Caritas wird diese Lage alsbald verschärfen. Auch wenn es kaum belastbare Studien über die Qualifikationen der zu uns kommenden Flüchtlinge gibt, so lassen verschiedene Erhebungen den Schluss zu, dass das Bildungsniveau ausreicht, um mit den Anforderungsprofilen auch der Caritas Schritt halten zu können.8
Junge Flüchtlinge bieten Planungssicherheit
2015 waren 81 Prozent der Asylsuchenden jünger als 35 Jahre, 29 Prozent zwischen 16 und 24 Jahren und 26 Prozent zwischen null und 15 Jahren. Gut zwei Drittel sind männlich. Auch die Zahl junger schutzberechtigter Flüchtlinge ist ähnlich hoch.9 Dieses außerordentlich hohe Bildungspotenzial lässt (Aus-)Bildungsfragen in den Vordergrund rücken und schafft gleichzeitig im Kontext einer nachhaltigen Personalentwicklung Planungssicherheiten. Dabei sollte die Caritas auch die Entwicklung zukunftsweisender Konzepte (Seiteneinstiege in ein Studium, modulare und duale sowie assistierte Ausbildungsgänge usw.) in den Blick nehmen und hier gemeinsam mit Hochschulen, Betrieben und dem Personalmanagement progressive, den besonderen (Bildungs-)Bedarfen der Flüchtlinge gerecht werdende Wege gehen.
Die Marktvorteile der Caritas nutzen
Soll ein Flüchtling eingestellt werden, stellen sich den Unternehmen viele Fragen wie etwa:
- Hat der Flüchtling bereits eine Beschäftigungserlaubnis?
- Wer ist für die Erteilung der Beschäftigungserlaubnis zuständig?
- Welche Sicherheit besteht, dass eine begonnene Ausbildung beendet werden kann?
- Kann der Flüchtling auch nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung im Betrieb bleiben?
- Bekommt der Flüchtling Berufsausbildungsbeihilfe?
Diese Fragen werden wohl regelmäßig nur mit Unterstützung von Expert(inn)en zu beantworten sein. Die Antworten darauf können wiederum höchst unterschiedlich ausfallen. So wird beispielsweise landläufig und immer wieder auch von Mitarbeitenden der Arbeitsverwaltung fälschlicherweise behauptet, eine gute Bleibeperspektive – als Zugang zu einer Reihe von Förderinstrumenten – hätten nur Flüchtlinge aus fünf Herkunftsstaaten. Tatsächlich ist dies jedoch in jedem Einzelfall zu prüfen.
Arbeitgeber und Flüchtlinge werden jedenfalls – wollen sie eine Beschäftigung erfolgreich umsetzen – auf eine gute Beratung angewiesen sein. Im Unterschied zu einem Unternehmen in der freien Wirtschaft verfügt die Caritas selbst über diese Expert(inn)en, die nahezu in allen Verbänden in Migrations- und Flüchtlingsberatungsstellen oder in Arbeitsmarktprojekten beschäftigt sind. Die Caritas ist hier also nicht auf externe Hilfe angewiesen. Diesen Marktvorteil gilt es zu nutzen.
Die Gunst der Stunde nutzen
Schließlich werden gegenwärtig umfangreiche neue Förderinstrumente zur Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen eingesetzt und bisherige finanziell besser ausgestattet. Gleichzeitig gilt das Bemühen der Flüchtlinge dem möglichst schnellen "Geldverdienen". Es sind also Kombilösungen (Arbeit und Qualifizierung) gefragt. Die Breite der Caritas-Angebote, vor allem in der Qualifizierung, ermöglicht die Umsetzung solcher Kombilösungen. Die Caritas kann hier eine Vorreiterrolle übernehmen und aufzeigen, dass sowohl Unternehmen als auch Flüchtlinge von diesen zukunftsweisenden Modellen profitieren.
Anfrage an eine Unternehmensstrategie
Für einen großen Arbeitgeber, wie es die Caritas ist, macht es angesichts der personellen Herausforderungen Sinn, die Beschäftigung von Flüchtlingen zu einem festen Bestandteil der Personalstrategien werden zu lassen. Ortsverbände werden dies regelmäßig nicht allein stemmen können. Es bedarf also immer der Unterstützung des Spitzenverbandes und infolgedessen einer verbandlichen Gesamtstrategie.
Innerhalb einer solchen Gesamtstrategie lassen sich zunächst die unternehmens-strategischen Fragen systematisch klären:
- Wer hat die Federführung?
- Welche (gegebenenfalls externe) Fachexpertise oder welche Fachbereiche sollen einbezogen werden?
- In welchen Arbeits- oder Fachbereichen sollen/können Flüchtlinge beschäftigt werden?
- Was sind die exakten Profile?
- Welche Erwartungen müssen sofort, welche können zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt werden?
Wichtige Grundsatzfragen in jedem Haus klären
Wichtig ist auch der Einbezug der Dienstgemeinschaft. Es ist sowohl eine transparente Vorgehensweise als auch Information über die Vorhaben sicherzustellen. Es muss aber auch abgeklärt werden, ob es in der Dienstgemeinschaft Vorbehalte gegen die Einstellung von Flüchtlingen gibt. Das berührt auch das Selbstverständnis der Caritas als katholischen Wohlfahrtsverband. Besteht eine Bereitschaft, Dienstnehmer/innen mit nichtchristlichem Glauben einzustellen? Wenn ja, gibt es Grenzen und was bedeutet das für die Auswahl der Personen?
Auch in einem Einzelfall, auf jeden Fall aber im Rahmen einer Gesamtstrategie ist zu klären, in welchem Umfang der Caritasverband bereit ist, zusätzliche finanzielle Mittel, unter anderem Personalressourcen, bereitzustellen, um die Einstellung von Flüchtlingen zu assistieren, um gegebenenfalls vorbereitende oder begleitende Qualifizierungsmaßnahmen einzuleiten, um bei entsprechendem Bedarf ein Krisenmanagement zu etablieren oder die Gesamtstrategie zu evaluieren.
Ein letzter großer Block der gesamtstrategischer Planungsarbeiten betrifft das Matching, also die Frage: Wie findet die Caritas für die vorgesehenen Stellen die "richtigen" Flüchtlinge? Wie wird die Zielgruppe erreicht? Welche regionalen Arbeitsmarktakteure müssen einbezogen werden? Wie wird sichergestellt, dass ein erfolgreiches Matching erfolgt?
Auch wenn die Beschäftigung von Flüchtlingen eine immens arbeitsreiche und aufwendige Angelegenheit bleiben wird, so sollten wir innerhalb der Caritas selbstbewusst genug sein, um mit der umfangreichen Fachexpertise10 in unseren Reihen auf die erfolgreiche Umsetzung eines solchen Vorhabens zu setzen. Wer, wenn nicht wir, sollte deshalb bei der Integration von Flüchtlingen in der ersten Reihe stehen?
Anmerkungen
1. § 60a Abs. 2 Satz 4; § 18a Abs. 1a AufenthG.
2. www.bmas.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2016/erleichterter-arbeitsmarktzugang-fluechtlinge.html
3. www.suedkurier.de/nachrichten/politik/De-Maizi%E8re-will-integrationsunwillige-Fluechtlinge-bestrafen;art410924,8621483
4. www.bmas.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2016/kabinett-macht-weg-frei-fuer-arbeitsgelegenheiten.html
5. Zahl der offenen Verfahren in 08/2016: circa 560.000, Zahl der Anerkennungen von 2015 bis 08/2016 circa 400.000, siehe unter: www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Statistik/
6. www.migazin.de/2016/09/08/oecd-prozent-fluechtlinge-jahren-arbeit/
7. Beispielhaft sei auf die Masterarbeit von Kristina Rieger "Die Folgen des demografischen Wandels auf das Personalmanagement - Herausforderungen und Handlungsempfehlungen am Beispiel des Caritasverbandes für die Diözese Osnabrück e.V." hingewiesen, datierend vom 13. Mai 2015 an der Hochschule Osnabrück.
8. Auswertung des BAMF zur Abfrage sozialer Komponenten bei Asyl-Antragstellung. In: Pfeffer-Hoffmann, Christian (Hrsg.): Profile der Neueinwanderung. Berlin, 2015, S. 141ff., www.iab.de/389/section.aspx/Publikation/k160205303
9. www.iab.de/389/section.aspx/Publikation/k160314v02
10. Siehe auch: Information zur Beschäftigung von Flüchtlingen für Unternehmen, Zentrale Beratungsstelle Arbeitsmarkt und Flüchtlinge, DiCV Osnabrück, www.zbs-auf.info