Herr Professor Kurtenbach, Ihr Buch- und Vortragstitel ‚Kinder - Minderheit ohne Schutz‘ - das ist ja eine steile These. Wie kommen Sie dazu?
Das ist nicht nur eine These, das ist eine Beobachtung. Kinder sind zwar schon lange eine rein zahlenmäßige Minderheit, aber in der Vergangenheit wurden sie dennoch viel stärker berücksichtigt und mitbedacht als heute. Auch weil Eltern es eingefordert haben. Auch Eltern sind zum Beispiel unter Wahlberechtigten eine so kleine Zahl geworden, dass ein wirksamer Schutz der Interessen der Kinder so nicht mehr besteht.
Welches Beispiels haben Sie als erstes vor Augen?
Nehmen wir die Corona-Pandemie. Es gab zwei Gruppen mit krassen Einschränkungen: Das waren ältere Menschen in Pflegeeinrichtungen und Kinder. Wir haben nach der Pandemie zuerst den Spielbetrieb in der Bundesliga wieder aufgenommen, bevor wir den ‚Spielbetrieb‘ in den Kitas wieder aufgenommen haben. Das ist ein Zeichen dafür, dass die Interessen von Kindern nicht so berücksichtigt werden.
Ein zweites Beispiel: Die aktuelle Diskussion um die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Ich will in keinster Weise inhaltlich bewerten, ob das sinnvoll ist oder nicht. Ich bin kein Sicherheitsexperte. Aber es gab keinen Dialog darüber mit jungen Menschen, welche Modelle sie für sinnvoll halten würden. Diese Art des Umgangs würden wir uns mit älteren Menschen nicht erlauben. Diese Erfahrung machen junge Menschen jedoch ganz häufig: dass ihnen nicht zugehört wird und dass über sie verfügt wird.
Wer müsste was tun?
Das Allerwichtigste ist, dass wir Kinder strukturell in die Mitte gesellschaftlicher Aufmerksamkeit stellen. Das bedeutet, Kindern tatsächlich zuzuhören. Sie in den Entscheidungsmomenten zu Wort kommen zu lassen. Es gibt beispielsweise den Vorschlag einer Hamburger Juristin, Zukunftsräte zu installieren. Zukunftsräte sind Gruppen junger Menschen, die an die Seite eines Stadtrates oder Landtages gestellt werden.
Dieser Rat hat eine Kompetenz: nämlich, wenn Entscheidungen anstehen, eine Stellungnahme zu erarbeiten. Der Trick: Das beschlussfassende Gremium müsste sich öffentlich dazu verhalten. Das ist alles. Die Entscheidung würde nach wie vor beim Parlament verbleiben. Ein solches Verfahren wäre ein Zukunftscheck aus der Perspektive junger Menschen. Das würde dazu führen, dass die Perspektive junger Menschen an einem Moment gehört würde: dann nämlich, wenn es ernst wird. Das tun wir im Moment nicht.
Anmerkung: Im Anschluss an den Vortrag findet eine Podiumsdiskussion statt. Neben dem Referenten auch Landrat Tobias Gerdesmeyer (Vechta), Heike Bornhorst (Kindertagesstätte Sonnenland, Neuenkirchen-Vörden), Anna Lübbe (Vorsitzende des BDKJ im Oldenburger Land) und Manuela Pille (SkF Vechta).
Pressemitteilung
So würden wir mit alten Menschen nicht umgehen
Erschienen am:
12.11.2025
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